Das Marshmallow-Experiment & moderne Überforderung: Was Führungskräfte wirklich daraus lernen können

Vielleicht kennen Sie das berühmte Bild: Ein vier- bis sechsjähriges Kind sitzt alleine in einem Raum, vor sich ein Marshmallow. Es darf die Süßigkeit sofort essen – oder 15 Minuten warten und dann zwei bekommen. Dieses simple Setting wurde durch das sogenannte Marshmallow-Experiment weltberühmt.
Marshmallow

Vielleicht kennen Sie das berühmte Bild: Ein vier- bis sechsjähriges Kind sitzt alleine in einem Raum, vor sich ein Marshmallow. Es darf die Süßigkeit sofort essen – oder 15 Minuten warten und dann zwei bekommen. Dieses simple Setting wurde durch das sogenannte Marshmallow-Experiment weltberühmt.

Was zunächst wie ein süßer Geduldstest aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Studie über Selbstregulation, Impulskontrolle und langfristiges Denken – Kompetenzen, die heute in Führungsetagen genauso gefragt sind wie im Marshmallow Experiment durchgeführt von Walter Mischel.

Damals wollte man die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub herausfinden, um dann festzustellen, dass Kinder, die das zweite Marshmallow erwarten konnten, später im Leben erfolgreicher sind. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Was in den 60er Jahren übersehen wurde: Die Fähigkeit zu warten ist kein Talent, das man einfach hat oder nicht. Sie hängt stark davon ab, wie belastbar das eigene Nervensystem ist, wie sicher die Umgebung empfunden wird – und ob man gelernt hat, Druck auszuhalten, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

Und genau hier liegt die Parallele zum heutigen Führungsalltag.

Das Marshmallow ist heute nicht mehr nur süß – es ist laut, dringlich und digital.

Elisabeth Kollmann

Belohnungsaufschub trifft Businessrealität

Im Kern geht es beim Marshmallow-Experiment also um die Fähigkeit, kurzfristige Impulse zu regulieren, um langfristig lohnendere Ziele zu erreichen. Diese Fähigkeit, so zeigen zahlreiche Studien, ist ein entscheidender Erfolgsfaktor – im Leben wie im Business.

Doch in einer Zeit, in der Entscheidungen im Sekundentakt getroffen werden, E-Mails rund um die Uhr hereinschneien und Führung häufig zwischen Zoom-Call und Krisenkommunikation jongliert wird, sind wir permanent herausgefordert, uns nicht vom nächsten “Marshmallow” ablenken zu lassen. Nur: Das Marshmallow ist heute nicht mehr nur süß – er ist laut, dringlich und digital.

Ständige Erreichbarkeit, endlose To-do-Listen, permanente Bewertung durch andere. Es ist kein Wunder, dass viele Führungskräfte heute nicht an mangelnder Disziplin scheitern – sondern an dauerhafter Überforderung, gepaart mit einem System, das kaum noch Pausen zulässt.

Die unsichtbare Überforderung hinter der Disziplin

Viele Menschen deuten das Marshmallow-Experiment als simplen Beweis: Wer warten kann, ist willensstark – wer nicht, ist schwach. Doch moderne Forschung zeigt: Das ist nur die halbe Wahrheit.

Kinder, die sich für das sofortige Marshmallow entschieden, taten das oft nicht, weil sie keine Selbstkontrolle hatten, sondern weil sie kein Vertrauen in die Zukunft hatten. Wer aufgewachsen ist in einem Umfeld, in dem Versprechen oft gebrochen wurden, in dem Ressourcen knapp waren, entscheidet sich lieber für das, was sicher ist – jetzt.

Übertragen auf den Führungsalltag bedeutet das: Wenn Sie sich ständig „für das schnelle Marshmallow“ entscheiden – also für die sofortige Reaktion auf das nächste E-Mail, den nächsten Anruf, das nächste Problem – dann hat das nicht unbedingt mit mangelnder Selbstdisziplin zu tun. Vielleicht ist es vielmehr ein Hinweis darauf, dass Ihr System unter Stress steht, die Sicherheit verloren hat und im Überlebensmodus funktioniert.

Die Symptome sind oft dieselben:

• Sofort auf jedes Mail antworten – auch nachts.
• Entscheidungen überhastet treffen, um „Ruhe reinzubringen“.
• Schwierige Gespräche meiden, weil keine Zeit für Reflexion bleibt.
• Das eigene Wohlbefinden hinten anstellen, weil „jetzt nicht der richtige Moment
ist“. Der nächste Urlaub kommt bestimmt.

Diese Muster erinnern stark an das Kind, das das Marshmallow sofort isst – nicht aus Gier, sondern weil Warten sich unsicher anfühlt. Weil das System überfordert ist.

NLP-Perspektive: Überforderung beginnt im inneren System

Als NLP-Lehrtrainerin arbeite ich seit 15 Jahren mit Menschen, die hochkompetent, engagiert – und trotzdem oft erschöpft sind. Was sie alle eint: Die Fähigkeit, sich perfekt nach außen zu organisieren, während innerlich längst der Alarmzustand herrscht.

Die Frage ist nicht, ob Sie stark genug sind. Die Frage ist: Wie viel Energie kostet es Sie, dauerhaft stark zu sein?

Denn wenn Sie sich ständig selbst regulieren müssen, immer weiter aufschieben, immer verfügbar sind und „nur noch kurz“ durchhalten, ist das kein Zeichen von Stärke, sondern ein Zeichen von Dauerstress – mit oft unterschätzten Folgen: Schlafstörungen, emotionale Reizbarkeit, Entscheidungsblockaden, schleichender Rückzug.

Und genau hier setzt ein moderner Blick auf das Marshmallow-Experiment an: Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub ist nicht nur ein Ausdruck von Disziplin – sie ist auch ein Zeichen für innere Sicherheit und emotionale Selbstanbindung.

Drei Impulse für den Umgang mit Überforderung:

  1. Erkennen Sie den Unterschied zwischen Reiz und Reaktion.
    Nur weil eine Aufgabe, ein Mensch oder eine Mail Ihre Aufmerksamkeit fordert, heißt das nicht, dass Sie sofort reagieren müssen. Zeitverzögerung ist eine Führungskompetenz – keine Schwäche.
  2. Schaffen Sie innere Sicherheitsräume.
    Warten gelingt nur, wenn das System Vertrauen hat. In sich, in andere, in die Zukunft. Pflegen Sie Rituale, Reflexionsräume und Pausen, in denen Ihr Nervensystem atmen darf.
  3. Fragen Sie sich regelmäßig: Muss das jetzt – oder will ich nur, dass es weg ist?
    Viele Entscheidungen werden getroffen, um kurzfristig Druck zu reduzieren. Langfristig entstehen daraus oft neue Baustellen.

Fazit: Selbstführung statt Selbstoptimierung

Das Marshmallow-Experiment ist kein Maßstab für Disziplin, sondern ein Spiegel für innere Stabilität. In einer Welt voller äußerer Anforderungen wird Selbstanbindung zur Schlüsselkompetenz für Führung. Es geht nicht darum, härter zu arbeiten oder mehr auszuhalten – sondern klüger zu wählen, worauf Sie Ihre Energie richten.

Denn vielleicht ist der größte Luxus im modernen Business nicht das zweite Marshmallow – sondern die Fähigkeit, sich selbst nicht zu verlieren, während man auf ihn wartet.

Der Marshmallow-Moment im Business: Warum Überforderung oft schon in der Kindheit beginnt

Vielleicht kennen Sie das berühmte Bild: Ein Kind sitzt alleine in einem Raum, vor sich ein Marshmallow. Es darf ihn sofort essen – oder 15 Minuten warten und dann zwei bekommen. Dieses simple Setting wurde durch das sogenannte Marshmallow-Experiment weltberühmt.

Was zunächst wie ein süßer Geduldstest aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Studie über Selbstregulation, Impulskontrolle und langfristiges Denken – Kompetenzen, die heute in Führungsetagen genauso gefragt sind wie in der Kindheit.

Doch es lohnt sich, genauer hinzusehen. Denn wer den zweiten Marshmallow nicht erwarten kann, hat möglicherweise nicht einfach nur weniger Disziplin. Vielleicht ist er oder sie schlicht überfordert – damals wie heute.

Denn wer warten kann, hat nicht mehr Disziplin. Er hat mehr Halt.

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Über die Autorin

Ich bin Unternehmerin, Keynote Speakerin, NLP-Lehrtrainerin – und Mutter der zwei besten Kinder auf der Welt. Ich weiß, wie es ist, immer zu funktionieren. Ich kenne das Gefühl, wenn alles weiterlaufen muss, obwohl es innerlich längst nicht mehr geht.