Ein Blick in die Teeküche eines mittelgroßen Unternehmens im Jahr 2025: Der Babyboomer wundert sich über die Arbeitsmoral der Jungen, die Gen Z überlegt, ob sie kündigen soll, weil sie sich heute „nicht gesehen“ fühlt, die Gen X schüttet sich den dritten Kaffee ein, und die Millennials organisieren heimlich das nächste Yoga-Retreat. Willkommen im multigenerationellen Arbeitsalltag – wo alle überfordert sind, aber auf sehr unterschiedliche Weise.
Warum dieses Thema uns alle betrifft
Noch nie zuvor in der Geschichte der modernen Arbeitswelt waren vier Generationen gleichzeitig in Teams, Meetings, Zoom-Räumen und Führungsetagen aktiv. Und jede dieser Generationen bringt nicht nur ihre Werte, sondern auch ihre ganz eigene Prägung im Umgang mit Stress, Belastung und Überforderung mit. Wer das ignoriert, riskiert nicht nur Missverständnisse – sondern auch hohe Burn-out-Raten, Demotivation und innere Kündigungen.
Und bevor Sie es denken, spreche ich es lieber aus. Den Blick auf diese vier Generationen von außen und nicht betroffen, kann es kaum geben. Denn auch die Menschen vor 1945 geboren, die sog. Silent Generation, kommen aus ihrer Haut nicht raus. Ganz gleich, wen Sie fragen, es wird immer eine Binnensicht auf dieses Thema sein und so auch hier.
Als NLP-Lehrtrainerin und Coach mit über 15 Jahren Erfahrung sehe ich diese Dynamiken täglich: In Führungsteams, bei Keynote-Vorträgen und vor allem in den ehrlichen Gesprächen nach dem offiziellen Teil und auch in meinem eigenen Team, denn auch wir haben drei der vier Generationen vertreten.
Was alle verbindet: Der Druck steigt. Was alle trennt: Der Umgang damit.
Babyboomer (ca. 1946–1964): Überforderung als Tabu
Die Nachkriegsgeneration ist geprägt von Wiederaufbau, Leistungsethos und beruflicher Loyalität. Arbeit war nicht nur Broterwerb, sondern identitätsstiftend, denn die Identität musste man nach dem 2. Weltkrieg erstmal wieder finden. Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, persönliche Befindlichkeiten zurückzustellen, galten als Tugenden.
Typischer Umgang mit Überforderung: Verdrängung, Somatisierung, Durchhalten. Psychische Erschöpfung wird häufig körperlich erlebt – als Rückenschmerz, Schlaflosigkeit oder Bluthochdruck. Offen über Überforderung zu sprechen, widerspricht dem gelernten Selbstbild, im Gegenteil es ist ein deutliches Zeichen für Schwäche. Dementsprechend groß ist das Verständnis für die Herausforderungen im Arbeitsprozess für die nachfolgenden Generationen.
Psychologischer Hintergrund: Studien zeigen, dass Babyboomer ein hohes Maß an achievement orientation aufweisen (Studientitel von Ng & Feldman, 2010: The Relationships of Age with Job Attitudes: A Meta‐Analysis). Gleichzeitig korreliert ihre geringe Bereitschaft zur Emotionsarbeit mit einer erhöhten somatischen Stressbelastung.
Coaching-Ansatz: Babyboomer brauchen oft erst die Erlaubnis, nicht mehr stark sein zu müssen – und konkrete Tools, wie sie trotz jahrzehntelanger Routinen neue Denk- und Handlungsräume betreten dürfen. Hier ist es entscheidend, Erlaubnisräume zu schaffen: für Reflexion, Emotionalisierung und Veränderung. Körperorientierte Verfahren sowie narrative Techniken zur Integration biografischer Erfahrungen können helfen.
Generation X (ca. 1965–1980): Funktionalität trotz innerer Erschöpfung
Ich oute mich. Ich gehöre zur Gen X. Diese Generation ist geprägt von Unsicherheit: Kalter Krieg, erste Wirtschaftskrisen, Digitalisierung ohne Anleitung. Gen X hat gelernt, sich anzupassen und gleichzeitig leistungsfähig zu bleiben – häufig um den Preis der Selbstfürsorge.
Typischer Umgang mit Überforderung: Ironisierung, Rückzug, stille Resignation. Viele funktionieren über Jahre hinweg – bis der Körper oder das System nicht mehr mitspielt.
Psychologischer Hintergrund: Gen X weist eine hohen internalisierten Leistungsanspruch auf. Der Glaube „Ich muss das alleine schaffen“ ist weit verbreitet – und im Coaching oft schwer zu durchbrechen. In der Tiefe wirkt oft ein internalisiertes Leistungsprinzip: “Wenn ich überfordert bin, habe ich versagt.”
Coaching-Ansatz: Diese Klient:innen profitieren von systemischen Fragen, Reframing-Strategien und achtsamkeitsbasierten Methoden. Es geht weniger um Tools als um einen Perspektivwechsel: von Funktion zu Sinn, von Kontrolle zu Kontakt. Hier geht es um das Finden der eigenen Grenze zu verbinden – ohne das Gefühl von Schwäche.
Nicht das Individuum ist das Problem – sondern der Versuch, es in ein System zu pressen, das nie für Menschen gedacht war.
Elisabeth Kollmann
Generation Y (Millennials, geboren ca. 1981–1995): Zwischen Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung
Die Millennials sind die erste Generation, die offen über mentale Gesundheit spricht, sie sind mit Globalisierung, Social Media und Flexibilisierung sozialisiert. Sie hinterfragen Sinn, fordern flexible Arbeitszeitmodelle und sind bereit, Jobs zu kündigen, wenn sie sich emotional nicht mehr stimmig anfühlen.
Typische Überforderungsmuster: Entscheidungsdruck, Sinnkrisen, Impostor-Syndrom. Sie leiden weniger an körperlichem Dauerstress, sondern an mentaler Dauerreflexion.
Psychologischer Hintergrund: Diese Generation hat von Anfang an Zugang zu Selbstoptimierung, Coaching, Achtsamkeit – und leidet manchmal gerade deshalb unter dem Druck, alles „richtig“ machen zu müssen. Die permanente Selbstbeobachtung und der Vergleich mit (inszenierten) Online-Identitäten verstärken das Gefühl, nie gut genug zu sein.
Coaching-Impuls: Weniger Tools, mehr Vertrauen. Millennials brauchen keine neue Methode, sondern Raum für innere Klarheit und Selbstakzeptanz. Wertearbeit und tiefergehende Identitätsarbeit stehen im Vordergrund.
Generation Z (ca. 1996–2010): Psychische Gesundheit als Grundbedürfnis
Die jüngste Generation im Berufsleben ist in einer Welt permanenter Krisen groß geworden: Pandemie, Klimawandel, soziale Unsicherheit. Sie ist digital hochkompetent, emotional differenziert und mental oft fragiler als vorherige Generationen. Und diese Generation hat ein Problem: alles ist möglich. Digitaler Nomade in Bali? Wunderbar. Oder doch lieber bürgerliches Leben mit Haus, Mann und Kindern? Gerne. Wohin soll man gehen, wenn man überall hingehen kann? Da sind Überforderung und Unzufriedenheit vorprogrammiert.
Typischer Umgang mit Überforderung: Frühzeitiger Rückzug, Vermeidung, psychische Symptome wie Angst, Depression, Erschöpfung. Gleichzeitig verfügen viele über ein ausgeprägtes Vokabular für emotionale Zustände und ein starkes Bedürfnis nach mentaler Gesundheit.
Psychologischer Hintergrund: Studien zeigen, dass Gen Z überdurchschnittlich häufig über Stresssymptome berichtet – und gleichzeitig am offensten damit umgeht. Ihre emotionale Intelligenz steht in Kontrast zur geringen Resilienz gegenüber Unsicherheit.
Coaching-Ansatz: Hier sind Transparenz, Augenhöhe und Authentizität zentrale Wirkfaktoren. Methoden aus der humanistischen Psychologie, Peer-Coaching und digitale Coachingformate zeigen bei dieser Generation oft hohe Wirksamkeit.
Konsequenzen für Unternehmen und Führungskräfte
Der generationenspezifische Umgang mit Überforderung ist kein weicher Faktor – sondern eine Schlüsselkompetenz moderner Führung und Unternehmenskultur. Wer psychologische Sicherheit schaffen will, muss differenzieren können:
- Babyboomer brauchen Anerkennung für ihre Lebensleistung – und Anleitung zur Selbstfürsorge.
- Gen X benötigt Ermutigung, Kontrolle abzugeben – und Räume für echte Reflexion.
- Millennials suchen Sinn, Gestaltungsspielraum und integrative Führung.
- Gen Z fordert mentale Gesundheit, Feedback auf Augenhöhe und strukturelle Sicherheit.
Eine generationensensible Überforderungsprävention ist daher keine Kür, sondern Pflicht: für Retention, Leistungsfähigkeit und psychische Gesundheit.
Fazit
Überforderung ist ein generationenübergreifendes Phänomen – aber kein einheitliches. Sie ist der Ausdruck einer inneren Dissonanz im Kontext äußerer Anforderungen. Wer sie wirksam adressieren will, braucht psychologisches Wissen, kommunikative Feinfühligkeit und den Mut zur Differenzierung.
Oder, um es mit einem systemischen Gedanken zu sagen: Nicht das Individuum ist das Problem – sondern oft die Passung zwischen Mensch, Erwartung und Kontext.